Liebling, ich habe das Erdgeschoß attraktiviert!

Stadtentwicklung
21.05.2019

 
Da sich Handel und Gewerbe wandeln, gelten in etlichen historisch gewachsenen Straßenzügen die ebenerdigen Flächen als problematisch. Maßnahmen gegen Leerstände laufen. Bei neuen Projekten soll es erst gar nicht so weit kommen.
Das Parkdeck Seepark in der Seestadt Aspern bietet im Erdgeschoß Räume für nicht kommerzielle Zwecke.
Das Parkdeck Seepark in der Seestadt Aspern bietet im Erdgeschoß Räume für nicht kommerzielle Zwecke.

Vor Kurzem wagte die in Wien ansässige Krocon Holding GmbH einen Einstieg in ein Problemfeld: Das Geschäftsfeld Krocon ­Mixed Use, das Dienstleistungen rund um potenzielle Einzelhandelsflächen in Erdgeschoßzonen in Wohn- und Büroobjekten bietet, wurde aus der Taufe gehoben. Geschäftsführer Jürgen Bruckner erläutert die Motivation: „Wir sehen hier einen beachtlichen und wachsenden Bedarf. In Österreich kommen derzeit kaum noch zusätzliche Einzelhandelsflächen in spezifischen Einzelhandelsobjekten auf den Markt. Hingegen entstehen in zahlreichen gemischt genutzten Objekten mit Schwerpunkt Wohnen oder Büro beachtlich viele Flächen, die grundsätzlich für Einzelhandelsnutzung gut geeignet wären, bei denen diese Möglichkeiten aber nicht oder schlecht genutzt werden.“

Drängt sich die Frage auf, warum dem so ist. Primär, weil gerade in gemischt genutzten Objekten, in denen der Einzelhandel lediglich eine Nebenrolle spielt, letztlich teure Fehler begangen werden. Das beginnt bei der baulichen Planung, geht weiter bei der Verwertung und endet bei Vertragsgestaltung und Hausverwaltung. „Das erfordert spezifisches Einzelhandels-Know-how, und das ist bei Wohnbau- und Büroentwicklern nicht immer ausreichend vorhanden“, bemerkt Bruckner. Vor diesem Hintergrund also bietet Krocon Mixed Use sämtliche Services, die dazu beitragen, die an einem Standort bestehenden Möglichkeiten im Bereich Einzelhandel optimal auszuschöpfen: Beratung bei der baulichen Planung, Erarbeitung eines optimierten Mietermix, Vermietung, Vertragsgestaltung, Unterstützung der Hausverwaltung. Wenn Bedarf besteht, übernimmt man auch die Suche nach Investoren, die sich an den Einzelhandelsbereichen eines Objekts beteiligen. 

Kreative Zugänge erforderlich

Ein positives Beispiel der außergewöhnlichen Art bildet das Parkdeck Seepark in der Seestadt Aspern im 22. Bezirk. Die Entwicklungsgesellschaft Wien 3240 AG realisierte mit dem Objekt ihre neue Freiraumstrategie. Denn im Erdgeschoß stehen mehrere Impulsräume für Kunst, Kultur sowie Nachbarschaftsaktivitäten zur Verfügung. In einem lädt beispielsweise das seeLab in ein Forschungs- und Entwicklungslabor für Medienkunst. „Damit gehen wir einen innovativen Weg. Wir verbinden Funktionen, um Mehrwert für alle zu schaffen. Dabei denken wir Freiraum weiter, als in der Stadtplanung üblich. Die Erdgeschoßzonen sind für uns ein wichtiger Bestandteil dieses erlebbaren öffentlichen Raums“, betont Wien 3420-Vorstand Alexander ­Kopecek. Heutzutage braucht es kreative Zugänge wie diesen, um Erdgeschoßen und damit Straßenzügen oder ganzen Stadtteilen Leben einzuhauchen.

Freilich betrifft die Problematik der Erdgeschoßflächen nicht nur relativ neue Gebäude. Viel mehr sind historisch gewachsene Stadtteile in Mitleidenschaft gezogen. Wer kennt sie nicht, die Straßenzüge, in denen lediglich ominöse Wettbüros, triste Brautmodengeschäfte & Co die Leerstände durchbrechen. Angie Schmied, Geschäftsführerin von Nest, der vor vier Jahren gegründeten Agentur für Leerstandsmanagement, weiß: „Gewerbe und Handel erfahren derzeit einen gesellschaftlichen Wandel. Die Produktion wurde und wird aus der Stadt verdrängt, und der Onlinehandel stellt eine starke Konkurrenz für kleine Verkaufsläden dar. Zudem steigen in Wien als wachsender Metropole mit einem hohen Druck auf Raum stetig die Mietpreise an, die für Einzel- und Kleinunternehmer nicht mehr leistbar sind. Hohe Personalkosten stehen geringen Erträgen gegenüber. Wenn auch privat etwas verdient werden soll, darf der Raum nicht zu viel kosten.“

Um Abhilfe zu schaffen, erstellt Nest Nutzungskonzepte für leerstehende Flächen aller Art und orientiert sich dabei an den räumlichen, behördlichen sowie technischen Möglichkeiten. Das betrifft sowohl Umnutzungen von Räumen mit obsolet gewordenen Nutzungen als auch Neubespielung von Leerständen. Zudem tritt die Agentur bei großen Flächen oder Immobilien als Bestandsnehmerin auf und vermittelt Teile an Einzel- sowie Kleinunternehmer oder andere Initiativen beziehungsweise Privatpersonen im Rahmen eines Gesamtnutzungskonzepts weiter. So werden entweder Cluster oder Nutzungsmixe geschaffen und organisiert. Im Falle eines Betriebs durch externe Personen oder Gruppen bietet Nest Coachings, Workshops und Open Calls an. Ein weiteres Betätigungsfeld liegt in Stadtentwicklungsgebieten, für die Erdgeschoßzonen-Studien erstellt und Besiedlungsprozesse begleitet werden.

Diverse Fördertöpfe

Doch wie steht es um Förderungen für dieses hehre Anliegen? Schmied antwortet: „Speziell mit Bezug auf die Erdgeschoßzonenattraktivierung kenne ich nur Förderprogramme der Wirtschaftsagentur, die speziell auf diesen Bereich abzielen. In erster Linie betrifft es das Programm ‚Geschäftsstraßenförderung‘, das Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität an die Wiener Geschäftsstraßenvereine mit mindestens zehn Mitgliedern vorantreibt. Ein anderer Fördertopf der Wirtschaftsagentur, das Programm ‚Nahversorgung und Stadtbelebung‘, unterstützt die Reaktivierung von mindestens seit einem Jahr leerstehenden Nahversorgungsgeschäftslokalen.“ Laut Schmied gibt es für Gewerbetreibende in der Bundeshauptstadt zusätzlich eine ­Reihe von Fördergebern, die Bau-/Investitionskosten und Mobiliar zumindest teilweise finanzieren. Darunter befinden sich das Austria Wirtschaftsservice, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung, die MA7, die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft, die Wirtschaftsagentur sowie die Wirtschaftskammer Wien. Auf dass die Maßnahmen fruchten.

„Die Produktion wurde und wird aus der Stadt verdrängt, und der Onlinehandel stellt eine starke Konkurrenz für kleine Verkaufsläden dar.“

Angie Schmied, Geschäftsführerin der Leerstandsagentur Nest