Potentialentfaltung im Zusammenspiel
„Zukünftige Stadtplanung muss verstärkt auf die Bereitstellung der Alltagsökonomie ausgerichtet sein“, sagt Tobias Riepl, Forscher im Bereich Klima- und Sozialpolitik am Umweltdepartment der CEU mit Schwerpunkt auf Wiener Stadtplanung, und verdeutlicht damit die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtungsweise in der Quartiersentwicklung. In diesem Sinne spielen die Developer eine wichtige Rolle, geht es darum, das gesellschaftliche Zusammenleben in der Stadt zu unterstützen und für ein Mehr an Lebensqualität zu sorgen. So setzte sich beispielsweise die Property Holding International (RPHI) zum Ziel, bis Ende der Dekade mit dem Stadtquartier@WienArena im 3. Wiener Bezirk aus einem Entwicklungsgebiet eine Trendlage zu machen. Damit übernehme die RPHI ein Stück soziale Verantwortung und gestalte langfristig die Infrastruktur in Neu Marx mit, heißt es aus dem Unternehmen.
Auch andere Developer verfolgen den Anspruch, mit ihrem Grätzel einen Mehrwert zu schaffen. Die ARE etwa möchte mit dem Village im Dritten ein elf Hektar großes Areal neu aufwerten und zu einem Ort machen, „der alle willkommen heißt und an dem alles zusammenkommt“. Dafür ist es wichtig, dass sich neue Grätzel – auch wenn sie für sich gesehen ein Mikrokosmos sind – optimal in bestehende Strukturen einfügen und mit ihnen in einem übertragenen Sinne kommunizieren.
Einbindung der Anrainer
Um diesen Spagat zu schaffen, bezieht beispielsweise die UBM im Rahmen der Entwicklung des LeopoldQuartier im 2. Wiener Gemeindebezirk das Umfeld von Anfang durch eine partizipative Stadtentwicklung ein. „Es gab Dialogveranstaltungen mit Anrainern und dem Bezirk. Bei diesen wurden Anrainerwünsche vorgebracht, die wiederum in die Widmung sowie in den Qualitätssicherungsauflagen eingeflossen sind. Außerdem wurde die Bürgerinitiative Lebenswertes Leopoldgrätzel (BiLG) gegründet. Unser Ombudsmann steht in regelmäßigem Austausch mit der BiLG und informiert unter anderem zu Baustellenupdates. Er steht jederzeit als Ansprechpartner für die Anliegen der Anrainer zur Verfügung,“ berichtet Peter Schaller, CTO UBM Development.
Das lässt vermuten: Das eine geht nicht ohne das andere. „Ein Quartier muss als großes Ganzes mit all seinen Wirkungen auf die Umgebung gedacht werden; und nicht als eine Ansammlung einzelner Häuser. Daher betrachten wir die städtebauliche Ebene mit allen Aspekten – vom Nutzungsmix über den Verkehr bis zum Freiraum – im Vorfeld sehr genau und binden Stakeholder in den Planungsprozess mit ein. Ein gutes Quartier kann nur durch Kooperation entstehen,“ erläutert Gerd Pichler, Leiter der ARE Projektentwicklung. Quartiersentwicklung erachtet er als eine gesellschaftliche Aufgabe: „Mit unseren Immobilienprojekten gestalten wir zukünftige Lebens- und Arbeitsräume von Menschen. Dementsprechend ist es auch unsere Aufgabe, ein bestmögliches Umfeld für die zukünftigen Nutzer zu schaffen.“
Vielfalt bieten
Um ein entsprechendes Gesamtkonzept zu bekommen, sind viele Aspekte über die Baufelder hinweg zu koordinieren, sagt die selbstständige Quartiersentwicklerin Claudia Nutz, Geschäftsführerin von Nutzeffekt: "Vieles kann und soll nicht auf Objektebene gelöst werden – sei es die Mobilität, die Baustellen-Logistik, die Gestaltung der Erdgeschoßzonen, die Energieversorgung, aber auch Aspekte der Digitalisierung, welche immer wichtiger werden.“ In der Einbeziehung der unterschiedlichen Akteure sieht Nutz auch den größten Unterschied zur klassischen Projektentwicklung. Während es bei ersterem oftmals bloß einen Developer und Entscheider gebe, entfalte die Quartiersentwicklung gerate im Zusammenspiel privater wie öffentlicher Akteure ihre ganze Kraft: „Privatunternehmen haben oft zu wenig Handlungsspielraum, um wirklich etwas verändern zu können. Die öffentliche Hand geht oft zu planerisch vor, wodurch tatsächliche Bedürfnisse zu wenig berücksichtig werden.“
Für Sozialwissenschaftler Riepl ist die Alltagsökonomie ein zentraler Pfeiler für ein gutes Leben. Um die Erfüllung der Grundbedürfnisse sicherzustellen, braucht es unterschiedliche Elemente. Dazu zählt Nutz auch die Infrastruktur wie soziale Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Versorgung genauso wie den Grünraum als Naherholungsraum und sozialen Treffpunkt und die Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr. „Bei all dem sollte man immer auf das Zusammenspiel von Programmierung – also welche Nutzungen gibt es im Quartier – und der Gestaltung von Architektur und öffentlichem Raum achten,“ sagt die Expertin und gibt ein Beispiel: „Es macht einfach keinen Sinn, sich Gewerbeflächen zu wünschen, dann aber keine entsprechenden Lokale dafür zu haben oder den öffentlichen Raum so zu gestalten, dass die zugehörige Logistik nicht möglich ist.“
Flexibilität notwendig
Das verdeutlicht, dass Quartiersentwicklung ein komplexes Aufgabenfeld darstellt. Eine große Herausforderung dabei: Mit unvorhergesehenen Veränderungen umzugehen. Gestiegene Baupreise, schwierigere Finanzierungen und Einbrüche in der Verwertung bekommen Developer natürlich deutlich zu spüren. Was die aktuelle Zinsentwicklung betrifft, so gibt Michael Priebsch, Leiter Großvolumiger Wohnbau Erste Group, leichte Hoffnung auf Besserung: „Wir gehen davon aus, dass sich die Zinsen etwas verringern werden und dadurch die Belastung für die Entwicklung von Quartieren begünstig sein wird.“
Doch nicht nur wirtschaftliche, auch gesellschaftliche Veränderungen und damit einhergehend neue Ansprüche ans Wohnen und Arbeiten wirken auf Projekte ein. So sind bei derart langen Entwicklungs-, Planungs- und Umsetzungsprozessen Neuanpassungen nie ausschließbar. Pichler: „Quartiersentwicklungen sollen multifunktional und (klima-)resilient sein. Sie brauchen die Flexibilität, sich zu verändern, um zukünftige Bedürfnisse aufgreifen zu können. Somit muss von Beginn an zukunftsorientiert gedacht werden. Gleichzeitig kann man aber auch aus den Erfahrungen der früheren Etappen lernen und sich weiterentwickeln.“ Während Kubaturen schon sehr früh festgelegt werden, habe man bei Grundrissen oder Wohnungsgrößen noch etwas länger Zeit, so der ARE Projektentwicklungsleiter: „Im Büro- und Gewerbebereich werden ganze Stockwerke offen gestaltet und erst nach Mieterwunsch Räume konfiguriert. Damit man diese Flexibilität tatsächlich nützen kann, muss dies bereits im Städtebau mitgedacht werden. Dazu zählen beispielswese die Baukörperkonfiguration oder Trakttiefen.“
Herausforderung: Transformation bestehender Strukturen
Geht es um städtebauliche Qualitäten, so können auch hier mit der Zeit Anpassungen notwendig werden. Nicht alle Qualitäten sind als absolut zu betrachten, sagt Nutz. Und weiter: „Die Freiraumanteile pro Person beispielsweise sind fix gesetzt. Andere Aspekte wiederum, wie etwa die Mobilität, verändern sich. Lag früher der Fokus auf der Nutzung des Privatautos, so liegt er heute auf der 15-Minuten-Stadt, die ein Auto überflüssig macht. Insofern ist es wichtig, langfristige Planungen immer wieder zu adaptieren.“ Zu starre Planungsansätze betrachtet die Quartiersexpertin daher kritisch: „Die schwierigsten Projekte sind jene, bei denen versucht wird, durch den Stadtplan alles detailliert festzulegen und den Bebauungsplan so auszuarbeiten, dass er bereits heute definiert, wie die Welt in zehn oder zwanzig Jahren aussehen soll.“
Es ist nicht gesagt, dass Quartiere auch fortan immer nur auf der grünen Wiese oder auf Brownfields entstehen (werden können). Laut Pichler sei beispielsweise absehbar, dass sie zukünftig in bestehende Strukturen integriert werden müssen. Doch auch hier könne „der Quartiersgedanke der übergeordneten Planung und der Auseinandersetzung mit Themen wie der Umgebung bis hin zur Nachhaltigkeit Teil der Lösung in der Bestandsentwicklung und Nachverdichtung sein“. Die Transformation bestehender Strukturen betrachtet Nutz jedenfalls als eine der größten Herausforderungen in der Stadtentwicklung.
Nachhaltigkeit im Fokus
Um für die Zukunft – auch in Anbetracht des Klimawandels – gewappnet zu sein, erachten es Developer jedenfalls als wichtig, ein nachhaltiges Gesamtkonzept zu haben. Dieses inkludiert laut Karl-Maria Pfeffer, CEO RPHI, einen soziokulturellen Mehrwert, eine energieeffiziente Bauweise und eine ökonomisch sowie ökologisch nachhaltige Nutzung. „Unser Ziel ist es, unsere Gebäude so umweltfreundlich und effizient wie möglich zu betreiben, mit Maßnahmen wie der Installation von PV-Anlagen, Wärmepumpen, dem Strombezug aus erneuerbaren Energiequellen, Mülltrennung, Wassersparmaßnahmen und der Nutzung von E-Ladestationen“, nennt Pfeffer Beispiele für Nachhaltigkeit.
Beim Village im Dritten wurden Nachhaltigkeitsthemen der Stadtentwicklung wie Grünräume, Mobilität oder klimafreundliche Energieversorgung bereits im Masterplan berücksichtigt und bauplatzübergreifend für das ganze Quartier gedacht. Die Energieversorgung beispielsweise erfolgt über eine Kombination aus Erdwärmesonden, PV-Anlagen und Fernwärme. Beim LeopoldQuartier, Europas erstem Stadtquartier in Holz-Hybrid-Bauweise, wird gegenüber dem Bestandsgebäude die bebaute Fläche um rund 15 Prozent reduziert. Mehr als die Hälfte der gesamten Liegenschaft sind Grünflächen. Zudem ist die Oberfläche autofrei. Durch die Nutzung von Geothermie und Photovoltaik ist das gesamte Quartier im Betrieb CO2-frei und auch autark: Die Energie wird zur Gänze auf der Liegenschaft erzeugt.
Blick auf finalisierte Quartiere
Auch wenn die Quartiersentwicklung verständlicherweise auf die Zukunft ausgerichtet sind, so kann es Unternehmen durchaus helfen, einen Blick auf bereits finalisierte Projekte zu werfen, meint Nutz: „Wien hat in den letzten Jahren sehr viele gute Beispiele für Quartiersentwicklungen hervorgebracht und jedes Projekt hat seine Stärken und Schwächen. Generell wäre es wünschenswert, dass sich alle Beteiligten mehr und vor allem konkret über die fertiggestellten Projekte austauschen und analysieren, was gut funktioniert und wo es möglicherweise Änderungsbedarf gäbe. Die Ergebnisse von ‚Lessons Learned‘ könnten dann gleich von Anfang an in neue Projekte einfließen.“