In umweltschonender Bewegung

Mobilität
04.10.2023

Von: Redaktion OIZ
Aktualisiert am 10.10.2023
Sich mit nachhaltigen Mobilitätskonzepten zu beschäftigen, ist für die heimische Immobilienbranche heutzutage unabdingbar.
Wohnanlage mit Parkplatz für E-Autos
Die Rahmenbedingungen sind für die Wahl des Verkehrsmittels entscheidend.

Was hat nachhaltige Mobilität mit Immobilienentwicklung zu tun? Laut Harald Frey, TU Wien Institute of Transportation Research Center of Transport Planning and Traffic Engineering, ganz viel: „Zwei Drittel der Wege beginnen und enden beim Wohnort. Das heißt, die Rahmenbedingungen sind entscheidend für die Wahl des Verkehrsmittels“. Geht es darum, das Mobilitätsverhalten nachhaltig zu beeinflussen, dann sei dies nur möglich, wenn es am Wohnort eine gute Anbindung zu öffentlichen Verkehrsmitteln gebe oder Alltagswege zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt werden können, sagt Frey, für den nachhaltige Mobilität auch mit der Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zusammenhängt.

Diesbezüglich habe sich gezeigt, dass die Nutzungshäufigkeit des Autos mit der Distanz zum Stellplatz abnimmt: „Kann ich bequem mit Lift von der Wohnung in die Tiefgarage fahren und habe ich am Zielort ebenso einen Stellplatz, dann hat der öffentliche Verkehr keine Chance – selbst dann nicht, wenn es eine Station direkt vor der Haustüre gibt.“ Entscheidend seien somit Örtlichkeit und Menge der Stellplätze. Daran ändere auch die E-Mobilität nichts, betont Frey: „Wenn wir nur auf die technologischen Komponenten achten, lügen wir uns selbst in die Tasche. Ein Umstieg auf E-Mobilität löst die Verkehrsprobleme speziell im innerstädtischen Bereich nicht. Die Abstellfläche muss bereitgestellt werden, egal, welche Antriebstechnologie das Auto hat.“ 

Stellplätze als Verkehrserreger

Auch laut Walter Hüttler, CEO von WH consulting engineers, der E-Mobilität in verschiedenen Ausprägungsformen als einen wesentlichen Baustein der zukünftigen Mobilität betrachtet, ist die Thematik umfassender zu behandeln: „Es reicht nicht, wenn man rein vom E-Auto spricht und es ist sicher nicht damit getan, nur eine Wallbox aufzustellen. Genaugenommen beginnt nachhaltige Mobilität beim Zu-Fuß-Gehen.“

TU-Professor Frey sieht in den Stellplätzen „eine wirkungsvolle Steuerungsgröße“ und kritisiert seit vielen Jahren die Vorgaben der Stellplatzverpflichtung: „Das ist eine starre Regelung, die keine Rücksicht auf die Individualität von Immobilienprojekten nimmt. Erst, wo es weniger Stellplätze gibt, haben alternative Konzepte wie beispielsweise Carsharing eine Chance. Wenn ich einen Stellplatz verpflichtend zur Wohnung miterwerben muss, mache ich mir keine Gedanken über Carsharing. Jeder Stellplatz ist ein Verkehrserreger. Würde es keine fixe Regelung geben, hätten Entwickler mehr Flexibilität, Alternativen auszuprobieren.“ Hinzu kommt, dass die Errichtung von Stellplätzen in Städten und suburbanen Räumen teuer ist. Etwaige Ersparnisse könnten in alternative Mobilitätsangebote fließen.

Mann mit Brille
Walter Hüttler, CEO WH consulting engineers: „Mobilität ist heute ein wichtiger Punkt in der Immobilienvermarktung.“

Must-Do

Laut Hüttler sind sämtliche Mobilitätformen in der Planungsphase im Auge zu behalten und auch in die Vermarktung zu integrieren. Die Nachfrage dazu steigt, genauso wie nach der Art des Heizsystems. Ein integriertes Mobilitätkonzept müsse bereits mit dem Standort und der Immobilie mitentwickelt werden: „Dafür gibt es keine allgemeingültige Lösung, das hängt immer vom Standort und den Rahmenbedingungen ab. Man muss sich für jeden Standort einen individuellen Mix aus aktiver Mobilität – dazu gehören das Fahrrad, das Lastenfahrrad und die eigenen Füße – öffentlichem Verkehr und Sharing Angebote überlegen.“ Wie Sharing Angebote angenommen werden, hängt laut Hüttler sehr vom Standort und dem Zielpublikum ab: „Pilotprojekte haben gezeigt, dass es vernünftig ist, sich mit vorhandenen Anbietern zusammenzutun. Für Bauträger ist es vom Aufwand her nicht tragbar, derartiges selbst zu organisieren. Die Zukunft wird sein, dass Sharing Angebote in eine vorhandene Infrastruktur von privaten oder kommunalen Anbietern eingebettet sind.“

Die Ausrichtung des Projektes ist in diesem Zusammenhang ebenso ein wesentlicher Faktor. Wie sich die Bewohnergemeinschaft zusammensetzt, könne einen riesigen Unterschied ausmachen, welche Mobilitätsformen vorherrschend sind, sagt Hüttler. Und weiter: „Die Wahl der Mobilität hängt nicht nur vom Alter ab, sondern auch vom Lebensstil und der Werthaltung und je nach Zielgruppe kommen andere Ansprüche und Erfordernisse am Projektstandort zum Tragen.“ Bestes Beispiel dafür sei das Fahrrad oder das Lastenfahrrad, das bei urbanen Zielgruppen besonders „in“ ist. In diesem Bereich sieht Hüttler noch massive Defizite bei neuerrichteten Wohnhausanlagen: „Bisher wurde das nicht mitgedacht oder als Randthema gesehen. Doch für manche Bewohner hängt die Lebensqualität in einer Wohnhausanlage auch davon ab, wo und wie sie ihr Fahrrad parken können.“

Mann im Anzug
Harald Frey, TU Wien Institute of Transportation Research Center of Transport Planning and Traffic Engineering: „Die E-Mobilität reduziert die Abhängigkeit des Einzelnen vom Auto keineswegs. Wichtig ist, auf das Gesamtsystem zu achten und die Ursachen, warum jemand von A nach B fährt, zu beleuchten.“

Stichwort: Stadt der kurzen Wege

Frey zufolge kann es helfen, schon in der Projektentwicklung mitzudenken, wie die späteren Bewohner in Sachen Mobilität ins Boot geholt werden können. So können Infosysteme Aufklärung schaffen und aufzeigen, „dass das eigene Auto nicht immer die beste Wahl ist“. War die Distanzüberwindung – speziell mit dem Auto – lange Zeit positiv konnotiert, so versucht man seit vielen Jahren, einzelne Bereiche wieder zu kombinieren. Stichwort Mischnutzung, sagt Frey. Die Infrastruktur am Wohnort sei schließlich eine wesentliche Stellgröße in Sachen Mobilität: „Mischnutzungskonzepte reduzieren sofort den Verkehrsaufwand. Da haben wenige Kilometer schon einen positiven Effekt. Erfolgreich in der Anwendung kann man jedoch nur sein, wenn man die Systemwirkungen und Ursachen für die Probleme kennt. Die vielzitierte ‚Stadt der kurzen Wege‘ existiert nämlich nur als ‚Stadt der niedrigen Geschwindigkeiten‘.“

Fakt ist, durchdachte Mobilitätslösungen dienen nicht nur der Umwelt, sondern auch der Erhöhung des Nutzungskomforts und der Steigerung der Gesamtattraktivität des Gebäudes für die Nutzer. Dazu gehört für viele schon heute die Zurverfügungstellung von Ladestationen für E-Autos. Eine Umfrage von Payuca, Dienstleister im Bereich Elektromobilität, ergab, dass 78 Prozent aller Dauerparker ihr Elektrofahrzeug bevorzugt zu Hause am eigenen Stellplatz laden und vom preiswerten Haushaltsstrom profitieren möchten. Payuca geht daher davon aus, dass die Wallbox am eigenen Garagenstellplatz bald zum Standard wird. Regularien wie die EU-Taxonomie sowie das geplante Ende für Verbrenner-PKWs anno 2035 verstärken das Erfordernis. Immobilienentwickler und -eigentümer, die am Werterhalt ihrer Wohnliegenschaften interessiert sind, müssen auf diese Anforderung reagieren und ihre Garagen elektrifizieren, ist man bei Payuca überzeugt.

E-Landeinfrastruktur
Derzeit sind österreichweit bereits knapp 136.000 Elektrofahrzeuge zugelassen. Tendenz stark steigend. Dem stehen 22.050 öffentliche Ladepunkte gegenüber. Der Verbund bietet mit All-in-One-Ladelösungen für die Wohnungswirtschaft Gesamtpakete für den Einstieg in die E-Mobilität. 

Die Frage der Ladeinfrastruktur

Walter Hüttler zufolge stelle sich für Entwickler die Frage, ob gemeinschaftliche Ladeinfrastruktur oder Einzelanlagen und, ob das Thema in der Vermarktung proaktiv angesprochen werde: „Ich betrachte das standortabhängig, ob man die Mindestanforderung nach Bauordnung erfüllt und abwartet, ob es Interesse gibt, oder ob man schon im Vorhinein einen bestimmten Anteil der Stellplätze mit Wallboxen ausrüstet.“ Bei einer Eigentumsanlage im hochpreisigen Segment werde es angebracht sein, E-Mobilität einzuplanen und nicht nur nach Mindesterfordernis eine Leerverrohrung bereitzustellen: „Hier kann es zweckmäßig sein, die Wallbox bereits in die Ausstattung mithineinzunehmen, weil es sehr wahrscheinlich Käufer geben wird, die möchten, dass sie fertig installiert ist, wenn sie einziehen.“

Eine Wallbox im Wohnungseigentumsvertrag inkludiert zu haben, sei laut dem Experten für Energieeffizienz vorausschauend. Es erspare dem Eigentümer, sich später die Zustimmung von anderen Eigentümern einholen zu müssen. Er sieht dahingehend allerdings noch großen Abstimmungsbedarf in der Projektentwicklung. Die Bereitstellung eines Ladeangebots sei sehr komplex und müsse abteilungsübergreifend behandelt werden: „Das, was im Wohnungseigentumsvertrag versprochen wird, muss schließlich auch technisch umsetzbar sein. Es gab bereits Fälle, bei denen die in den Verkaufsverträgen zugesicherte Ladeinfrastruktur nicht ausreichend durch die mit dem Netzbetreiber vereinbarten Anschlusswerte gedeckt war,“ so Hüttler.

Problemfeld Bestandimmobilie

Eine Nachrüstung von E-Ladestationen im Bestand vorzunehmen, ist freilich schwieriger als im Neubau umzusetzen. Neben der organisatorischen Lösung, sprich Einzelladestation versus Gemeinschaftsanlage, stellt sich hier insbesondere die Frage nach ausreichend vorhandenen elektrischen Anschlusskapazitäten. Hüttler denkt, dass bei zehn bis 15 Jahre alten Wohnhausanlagen mit den vorhandenen Kapazitäten ein erheblicher Anteil der Stellplätze mit E-Ladestationen ausstattbar sein wird. Wesentlich im Bestand sei allerdings die organisatorisch-rechtliche Ebene: Wie kommt man von zunächst einzeln errichteten Ladestationen später zu einer Gemeinschaftsanlage mit Lastmanagement? „Die neu eingeführte Bestimmung des § 16 Abs 8 WEG 2022 ist meiner Meinung nach sehr weitsichtig. In Anbetracht dessen kann es sinnvoll sein, eine Gemeinschaftsanlage von Beginn an mitzudenken,“ meint Hüttler.

Laut Payuca haben Hausverwaltungen und Eigentümer oft Sorge, dass die Installation von Ladestationen in ihren Garagen einen Komplettumbau ihrer Leitungsinfrastruktur erfordert, zu wenig Kapazität zur Verfügung steht und die Ausstattung zu immensen finanziellen Aufwendungen führt. Sascha Niessl, COO bei Payuca und Experte für die Umsetzung von E-Mobilität im Wohnbau, unterstreicht, dass jeder, der sich jetzt die Netzkapazitäten in seinem Mietswohnhaus sichere, für das Zeitalter der E-Mobilität gerüstet sei. Moderne und flexible Hardwaresysteme, integrierte Lastmanagementsysteme, das regelmäßige Monitoring der Anlagen sowie nachhaltige Installationen seien aber der Schlüssel zur Profitabilität, so Niessl. Payuca und der Verbund bieten in Kooperation das Contracting Modell "Immo-Charging Residential" an. Damit erspart sich der Eigentümer die Installationskosten für die Ladeinfrastruktur und die Mieter können ein, laut Unternehmen kostengünstiges, Öko-Strom-Abo auf ihrem eigenen Stellplatz abschließen.