Spannungsfeld Ortsbild
Ein Gebäude nicht abreißen zu dürfen, weil dessen Erhalt für das Ortsbild wichtig ist? Das kann einem Ort dienlich sein, jedoch anderen Interessen im Wege stehen. Maßnahmen der Nachverdichtung sowie Sanierung im Bestand stellen in den meisten Fällen eine Auseinandersetzung mit dem Ortsbild dar. Private Projekte speziell in Ortskernen geraten daher immer wieder in Konflikt mit Interessen von Kommunen und manchmal auch deren Bevölkerung. Warum aber ist das so? „Die kulturelle Besonderheit liegt darin, dass das ‚Ortsbild‘ oder ‚Stadtbild‘ keine rein private Angelegenheit ist, sondern eine öffentliche“, sagt Architekt Andreas Hawlik, Geschäftsführer Hawlik Gerginski Architekten.
Architektin Caren Ohrhallinger, Partnerin bei nonconform, Büro für Architektur und partizipative Raumentwicklung sowie Sprecherin vom Verein Plattform Baukulturpolitik, ergänzt: „Das Ortsbild ist eine baukulturelle Thematik und damit eine Querschnittsmaterie. Es wird jedoch oft auf eine rein ästhetische Ebene reduziert, obwohl es weit darüber hinausgeht und etwa auch die soziale und funktionale Ebene umfasst. Wie wir unsere Orte, unsere gebaute Umwelt wahrnehmen, ob wir sie als angenehme Aufenthaltsorte, als Lebensraum empfinden oder nicht, hat viel mit den Nutzungsmöglichkeiten zu tun – nicht nur den konkreten Nutzungen der Gebäude, sondern auch des öffentlichen Raumes, der Belebtheit, der Aufenthaltsqualität.“ Gehe es um die nachhaltige Nutzung und Stärkung von Ortskernen als Lebensraum, dann gebe es viele Regularien, die derzeit bei Sanierungs- und Umbauvorhaben im Bestand erschwerend wirken und die man erleichtern könnte. Als Beispiel nennt sie die Stellplatzverpflichtung im Wohnbau.
Beurteilung im Einzelfall
Doch wofür steht das Ortsbild eigentlich? Wenngleich der Begriff in der Fachliteratur und in gesetzlichen Regelwerken unterschiedlich definiert wird, ist eine Linie erkennbar: Verstanden wird darunter im Wesentlichen die Summe aller charakteristischen und prägenden Elemente innerhalb eines abgegrenzten Siedlungsbereiches. „Das Ortsbild besteht aus zwei Hauptfaktoren. Einerseits der vorab definierte Freiraum - also Plätze, Wege/Straßen, Gewässer -, anderseits die Bebauung, die diesen definierten Freiraum begrenzen und ihm einen Rahmen geben. Es ist meist gewachsen und drückt die besondere Identität und Einmaligkeit des Ortes aus“, erklärt Architektin Evelyn Rudnicki, Vorsitzende Sektion ArchitektInnen Kammer der ZiviltechnikerInnen, ArchitektInnen und IngenieurInnen Wien, Niederösterreich, Burgenland.
Woran sich nun als privater Entwickler bei Bauvorhaben orientieren? Diese Frage offenbart die Problematik des Themas. Das Instrument des Bebauungsplanes hilft jedenfalls oft nicht weiter. „Viele Gemeinden haben für bestehende Siedlungskörper keine konkreten Bestimmungen. Teils gibt es in den Bauordnungen Verweise auf das Ortsbild, doch wird dadurch keine situationsspezifische Aussage getroffen. Welche Bauweise im konkreten Fall im Sinne des Ortsbildes angemessen ist, muss daher immer auf Basis des tatsächlichen Kontextes geklärt werden“, sagt Ohrhallinger und fährt fort: „Bei allen Bauvorhaben, Neu- wie Umbauten, geht es neben anderen baukulturellen Aspekten darum, wie Qualität im Sinne des Ortsbildes erhalten werden kann. Das lässt sich nicht im Vorfeld durch Regularien festschreiben, sondern muss im Einzelfall beurteilt werden.“
Kniffelige Nachverdichtung
Rudnicki rät, sich bei der Nachverdichtung mit dem bestehenden Ortsbild auseinanderzusetzen. Dabei gehe es nicht darum, es zu kopieren: „Die Planer haben die schöne Aufgabe, es in die Gegenwart zu transformieren. Auch moderne Eingriffe in Bestandsgebäude stören - wenn es gut gemacht wird - keinesfalls das Ortsbild, sondern bereichern dieses. Orte dürfen sich eben auch weiterentwickeln, aber ohne ihre Wurzeln zu verlieren.“ Ortsbildtypisch zu gestalten, bedeutet für sie folglich, sich mit den Typologien des Bestandes zu beschäftigen: „Fenstergrößen und -achsen, Materialien, Farben, Verzierungen, Ausrichtung und Form der Dächer, Gebäudehöhen. Diese Parameter werden erkannt, dann variiert und neu interpretiert.“
Das bedeutet nicht, dass es keinen gestalterischen Spielraum gibt, folgt man Rudnickis Worten. Wichtig sei, auf die richtige Maßstäblichkeit der neuen Volumina zu achten. Wobei auch die Gebäudehöhe oder -volumina zum Bestand variieren könne, wenn es im Anschluss zu den Nachbarn oder dem Gegenüber wieder eine maßstäbliche Anpassung gebe: „Neue Gebäude sollen tatsächlich als solche wahrgenommen werden können, aber insgesamt im Duktus des Bestandes verbleiben.“ Auf die Frage, wie weit das Ortsbild einschränken solle und dürfe, meint Rudnicki, dass der Ort kein Museum werden dürfe: „Er muss benutzbar und lebendig bleiben. Die Anforderungen an Gebäude haben sich heutzutage natürlich stark geändert. Dekarbonisierung, Klimawandel, Starkregen, Hitzesommer, Dürren. Das alles sind Themen, die beachtet werden müssen. Entscheidend ist, dass es zu einem guten Mit- und Nebeneinander von Alt und Neu kommt. Neue Qualität gesellt sich zu alter Qualität. Einzelne denkmalgeschützte Gebäude oder Ortsteile sind zu begrüßen. Denn auch diese können qualitätsvoll adaptiert und weiterentwickelt werden.“
Unterschiedliche Handhabung in den Bundesländern
Die Handhabung mit dem Ortsbild variiert in den Bundesländern stark. Nicht nur der Begriff, sondern auch der „Schutz des Ortsbildes“ sind auf vielfältige Art und Weise geregelt und teilweise rechtlich verankert. So sind beispielsweise in den meisten steirischen Ortsbildschutzgebieten sogenannte Ortsbildkonzepte als Gemeindeverordnungen erlassen. Diese können direkt in der jeweiligen Gemeinde eingesehen werden und sollen Hilfestellung und bessere Rechtssicherheit bei Planungsvorhaben geben. In Salzburg ist das Ortsbild im Ortsbildschutzgesetz von 1999 definiert. Die Gemeinden sind verpflichtet, es nach Kräften zu pflegen und in seinem erhaltungswürdigen, für die örtliche Bautradition charakteristischen Gepräge zu bewahren. In Tirol wiederum wurde bereits 1976 das Stadt- und Ortsbildschutzgesetz zum Erhalt wertvollen Kulturerbes erlassen. In vielen Gemeinden gibt es Schutzzonen für das jeweilige Ortsbild prägende Gebäude und -gruppen.
Laut Ohrhallinger ist der Umgang mit Bauaufgaben auf Gemeindeebene sehr unterschiedlich und hänge stark von den verantwortlichen Personen ab: „Meines Erachtens braucht es hier viel mehr Unterstützung und Förderungen – sowohl für die Umsetzung kommunaler Projekte als auch privater Bauvorhaben. Gerade die Unterstützung in der Phase Null, der Phase der Projektentwicklung, in der die wesentlichen Entscheidungen beispielsweise über Bestandsumbau oder Neubau, über einen Standort im Ortskern oder auf der grünen Wiese, getroffen werden, ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor.“ Als geeignetes Instrument bei Fragen zu baulichen Maßnahmen erachtet Ohrhallinger den Gestaltungsbeirat. Dessen Hauptaufgabe ist es, die Bauwerber und Gemeinden als Baubehörde bei Bauvorhaben mit fachlicher Expertise zu unterstützen. Speziell in den westlichen Bundesländern hat dieser einen hohen Stellenwert. So unterstützt der 2013 vom Land Tirol eingesetzte Gestaltungsbeirat Gemeinden und Land in städtebaulichen, landschaftsgestalterischen und architektonischen Fragen, um bestehende Qualitäten zu erhalten und Defizite zu verbessern. Die Inanspruchnahme des Gestaltungsbeirates ist freiwillig. Die Kosten übernimmt das Land Tirol. In Kärnten wiederum kann bei Auffassungsunterschieden zu Interessen des Ortbildschutzes der Baubewilligungswerber wie die Behörde die Ortsbildpflegekommission zur Rate ziehen.
Unterstützende Architekturwettbewerbe
Ein weiteres Instrument zur Qualitätssicherung bei Bauvorhaben und Unterstützung von Kommunen bei der Ortsbildfrage bildet gemäß Ohrhallinger der Architekturwettbewerb: „Die unterschiedlichen räumlichen und gestalterischen Herangehensweisen an ein Bauprojekt gewährleisten, dass aus mehreren Möglichkeiten die für die jeweilige Gemeinde beste Lösung gefunden werden kann.“ In Sachen Qualitätssicherung und den dazu geeigneten Maßnahmen gehen die Architekten konform. Rudnicki: „Keinesfalls sollten der Bürgermeister und die Gemeinderäte darüber alleine entscheiden. Auch Immobilienentwickler sind gut beraten, mit Experten zusammenzuarbeiten und Architekturwettbewerbe abzuhalten. Orte können so neue Qualitäten generieren und bleiben oder werden lebenswerter und lebendiger.“ Unterstützung in Sachen kommunaler Bauvorhaben und ländlicher Baukultur sowie die Möglichkeit zum Austausch und zur Vernetzung bieten auch Initiativen wie die offene Plattform Zukunftsorte sowie der Verein LandLuft.
Für Ohrhallinger geht es ebenso um die Schaffung eines Bewusstseins für die Wichtigkeit des „Lebensraums Ortskern“ und im Zuge dessen für die Rolle des Ortbildes. In Kärnten, wo es seit 1990 das Ortsbildpflegegesetz gibt, rief man deshalb vor zwei Jahren sogar der Lehrgang „Baukultur und Ortsentwicklung“ speziell für Personen, die in Planungs- und Entscheidungsprozessen in kleineren Gemeinden, aber auch in mittelgroßen Städten involviert sind, ins Leben. Auch im Burgenland und in der Steiermark fanden mittlerweile solche Lehrgänge statt, weiß die Architektin.