Projekt Heizungsumrüstung

Dekarbonisierung
10.05.2024

Von: Redaktion OIZ
Raus aus Öl und Gas ist im Altbau mit etlichen Herausforderungen verbunden.

Mann mit schwarzen Haare und Brille
Harald Saiko, Architekt und Gründer der Beratungsagentur Rauskunft: „Es müssen viele Hindernisse überwunden werden – praxisferne Beratungen, Mythen über und Vorurteile gegen alternative Lösungen, Desinteresse qualifizierter Stellen und Firmen, Überlastung und Arbeitskräftemangel bei den Fachbetrieben, fehlende Planungs- und Rechtssicherheit durch Gesetzgeber und Behörden sowie der bürokratische Förderdschungel.“

Ein Heizsystem zu tauschen, kann ein schwieriges Unterfangen sein. Denkt man an ein Zinshaus, so wirkt es fast unglaublich, dass Derartiges bei einem über hundert Jahre alten Mehrparteienwohnhaus umsetzbar ist. Doch es ist möglich. Das zeigen zwei Wiener Vorreiterprojekte.

Architekt Harald Saiko lies bei seiner 150 Jahre alten Liegenschaft mit elf Wohnungen und zwei Geschäftslokalen in Wien-Ottakring 2020 eine Luftwärmepumpe sowie eine Photovoltaik-Anlage mit circa 13 kWp plus 21 kW Stromspeicher einbauen. „Die Gaszentrale machte andauernd Probleme, was zur Überlegung führte, vor einem etwaigen Thermenwechsel auch Alternativen zu prüfen. Weil das Haus aufgrund einer umfassenden Sanierung bereits zentralisiert und gut gedämmt war, funktionierte der Umstieg auf ein alternatives System technisch problemlos“, erzählt er. Der Verdampfer der 17-kW-Luftwärmepumpe steht im Hof, die Wärmepumpe im Heizraum des Kellers, ein zusätzlicher Pufferspeicher im Fahrradraum. Der bereits bestehende 800-Liter-Heißwasserspeicher sowie sämtliche Installationsleitungen bis zu den Radiatoren in den Wohnungen blieben unverändert. Die Kombination mit der PV ist laut Saiko eine ideale Lösung: „Man nutzt den Strom selbst, statt ihn unterpreisig einzuspeisen.“ Von Frühling bis Herbst liefert seine Anlage Strom für Warmwasser, eine moderate Kühlfunktion, den Aufzug und das Licht in den Allgemeinflächen.

Enorme Bandbreite bei Investitionskosten

Der Ausstieg aus Gas schlug sich für ihn mit rund 110.000 Euro netto zu Buche; gerechnet auf 1.110 Quadratmeter Nutzfläche rund 100 Euro pro Quadratmeter Nutzfläche oder 8.500 Euro pro Mieteinheit. „Das ist sicher der unterste mögliche Bereich. Die Bandbreite ist enorm. Eine Umrüstung kann je nach Umfang der Maßnahmen zwischen 10.000 und 60.000 Euro pro Wohnung kosten,“ so Saiko. Die Realisierbarkeit der Dekarbonisierung sei daher selten eine Frage der Technik – diese sei grundsätzlich einfach –, sondern vielmehr der Bestandsituation. Sie bestimme, ob daraus ein funktionierendes „Geschäftsmodell“ wird und welche Möglichkeiten sich für Investment, Refundierung und Amortisation sowie Verrechenbarkeit bis hin zu Erhaltung und Wartung ergeben: „Wenn ein Alleineigentümer Wohnungen mit Erhaltungspflicht für alte Gasthermen und überwiegend sehr langer Mietdauer verwaltet, so kann sich über einen längeren Zeitraum betrachtet auch eine anfängliche Zentralisierung mit stufenweiser Nachrüstung rechnen. Wenn in einer WEG Eigennutzer sind, können die Investition gegenüber eingesparten Energiekosten wie im Einfamilienhaus kalkuliert werden. Wenn laut MRG zu niedrigem Preis vermietet wird, die Investitionskosten nicht übertragbar sind und die Mieter eine Umstellung nicht einmal dulden müssen, wird es schwierig bis schlichtweg unmöglich.“ Sich die Investition mittels Förderung zu erleichtern, klingt zwar verlockend, kann sich aber als kompliziertes und frustrierendes Unterfangen herausstellen. In allen Bereichen der Vorbereitung, Abwicklung und der ganzen verbundenen Verfahren wütet nach Saikos Erfahrung gerne das „Bürokratiemonster“. Die heuer in Kraft getretene Neuregelung bei Förderungen habe hier aber wesentliche Erleichterungen und mit dem Fokus auf die Dekarbonisierung erfreuliche Änderungen gebracht.

Verdampfer eine Wärmepumpe
Der „Verdampfer“ der 17kW-Luftwärmepumpe steht bei Haralds Saikos Liegenschaft in Wien-Ottakring im kleinen Hof. Ein paar dünne Leitungen führen zur Wärmepumpe in den nahegelegenen Heizraum im Keller.

Rückblickend betrachtet waren seine Erlebnisse durchwachsen, sagt der Hausbesitzer: „Es müssen viele Hindernisse überwunden werden - praxisferne Beratungen, Mythen über und Vorurteile gegen alternative Lösungen, Desinteresse qualifizierter Stellen und Firmen, Überlastung und Arbeitskräftemangel bei den Fachbetrieben, fehlende Planungs- und Rechtssicherheit durch Gesetzgeber und Behörden sowie der bürokratische Förderdschungel."Als Beispiel nennt er das Vorurteil, eine Luftwärmepumpe sei laut und benötige eine Fußbodenheizung: „Beides stimmt nicht. Die Wärme kann genauso gut von normalen Heizkörpern abgegeben werden, wenn es sich mit Vorlauftemperatur und Heizlast ausgeht. Sie ist auch nicht per se laut. Es geht um ganz etwas anderes: Die Schallemission der Wärmepumpe ist ein Nachbarrecht und somit kann jeder Nachbar auf dem Zivilrechtsweg eine Beeinträchtigung behaupten und einklagen.“ Das könne aber durch die Wahl des Aufstellortes oder der Einhausungen vermieden werden. Der Mythos, dass Installationen unkompliziert in den Kaminen zu führen sind, sei zwar „positiv“, aber irreführend: „Das leere Kaminrohr ist eine Möglichkeit, steht oftmals aber nicht zur Verfügung.“ Die Meinung, dass der Umstieg auf ein alternatives Heizsystem immer mit einer umfassenden Sanierung einhergehen muss, vertritt Saiko ebenso wenig. Seine Erfahrungen in Sachen Dekarbonisierung gibt er mit seiner Agentur Rauskunft weiter: „Nach einer rund einstündigen Besichtigung lassen sich alle wesentlichen Potentiale und Hindernisse einer Umrüstung herausfiltern. Jedes Objekt ist anders und individuell. Es ist keine Generalisierung möglich. Bei jeder Liegenschaft müssen die Rahmenbedingungen gesondert betrachtet werden – ob, wie und zu welchem Preis die Umrüstung möglich ist.“

Frau in einem geblümten Kleid
Helga Brun, Geschäftsführerin von Brun Immobilien: „Mich interessierte in erster Linie die technische Umsetzung und die Frage, wie ein alternatives Heizsystem im Altbau funktionieren kann und was sich damit einsparen lässt.“

Energie durch Geothermie

Helga Brun, Geschäftsführerin Brun Immobilien, wiederum dreht den Gashahn in ihrem Zinshaus im 15. Bezirk im Juni letzten Jahres endgültig ab. Das 1865 errichtete Gründerzeithaus mit 16 Wohneinheiten wird nun mittels Wärmepumpe inklusive PV-Unterstützung beheizt. Die neu errichteten Wohnungen im Dachgeschoß können auch gekühlt werden. Während in die neuen sowie sanierten Wohneinheiten eine Fußbodenheizung kam, verblieb in allen bewohnten Einheiten die bestehende Radiatoren-Heizung. Die neuen technischen Gerätschaften wurden im Keller sowie in einem ehemaligen Lagerraum im Hofhaus untergebracht, alle Anlagen am Dach im Zuge des Dachgeschoßausbaues installiert. Da die komplette Umstellung des Heizsystems im Rahmen einer umfassenden geförderten Sanierung erfolgte, hielt sich der bauliche Aufwand dafür laut der Hauseigentümerin in Grenzen.

Mit dem Start des neuen Heizsystems wurde ein umfassendes Monitoring durch ein von Brun beauftragtes Institut eingeführt. Über viele, im ganzen Haus verteilte Messpunkte werden seither zahlreiche Parameter wie die Performance der Anlage sowie der Energieverbrauch in den einzelnen Wohneinheiten ermittelt. „Alles, was möglich ist, zeichnen wir auf“, sagt Brun, deren Fazit nach dem ersten Winter äußerst positiv ausfällt: „Wir hatten nur wenig Störungen bei der Wärmepumpe und diese konnten schnell behoben werden. Es hat sich schon gezeigt, dass unsere Wärmepumpe sogar eine Spur überdimensioniert ist.“ Nach dem nächsten Winter wird eine umfassende Analyse der gesammelten Daten erstellt. „Darauf bin ich schon gespannt“, lacht Brun. Dabei gehe es ihr nicht um die Rentabilität. Diese sei ohnehin nicht gegeben: „Die Investition von insgesamt rund 300.000 Euro kann ich nicht in die Miete einpreisen, insofern ist es ein Beitrag in die Zukunft.“ Der wirtschaftliche Aspekt stand bei der Umsetzung im Hintergrund: „Mich interessierte in erster Linie die technische Umsetzung und die Frage, wie ein alternatives Heizsystem im Altbau funktionieren kann und was sich damit einsparen lässt. Im Altbau gibt es dazu bislang ja keine Dokumentation. Wir schaffen hier sozusagen eine Basis.“

Erdwärmesonden-Bohrung
Das alternative zentrale Heizsystems der Liegenschaft von Helga Brun im 15. Bezirk basiert auf Geothermie. Dafür wurden Erdwärmesonden bis zu 200 Meter tief in den Boden eingebracht.

Keine 08/15-Lösung

Die Energiegewinnung bei der neuen Heizungsanlage erfolgt mittels Geothermie. Vier Erdwärmesonden befinden sich im Innenhof, drei Sonden am Straßenrand vor dem Gebäude. Da die kleinen Bohrgeräte für die Erdwärmebohrung nicht tief genug bohren konnten, waren größere Geräte für tiefere Bohrungen notwendig. Diese konnten allerdings nicht in den Innenhof gebracht werden, weshalb ein alternativer Platz für drei Wärmesonden gefunden werden musste. Brun wendete sich an die Stadt Wien zwecks Nutzung öffentlichen Gutes: „Wir sind damit auf offene Ohren gestoßen und wurden sehr unterstützt. Von der Anfrage bis zur Umsetzung vergingen lediglich eineinhalb Jahre. Dass die Stadt Wien eine kleine 08/15-Liegenschaft diese Möglichkeit gibt, hat mich schon sehr gefreut.“ Die Vorbereitungen für die Nutzung des Gehsteiges waren umfassend: Mittels Aufgrabungen wurde untersucht, welche Kabel und Rohre sich bereits unter dem Asphalt befanden, um nichts anzubohren. Bruns Sorgen, dass ihre Wärmesonden dann bei späteren Straßengrabungen beschädigt werden könnten, wurden entkräftet: Die Sonden ragen erst ab bei einer Tiefe von 1,8 Metern in das Erdinnere. Zur Erwärmung des Erdreichs im Bereich der Sonden wurde eine Solarthermie-Anlage am Dach installiert. "Ich würde es wieder tun. Wenn das Geld vorhanden ist, ist es eine gute Sache. Man darf sich nur nicht überlegen, wie man es refinanziert. Wenn man technisch affin ist, macht es Freude, es umzusetzen und man bekommt dann auch viel Unterstützung seitens der Stadt Wien“, betont sie.