KI in der Immobilienwirtschaft
Ob einfacher Newsletter, Exposé oder komplizierter Fachaufsatz. Was dem Menschen mitunter stundenlange Arbeit bereitet, erledigt das auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Text-Tool ChatGPT in Sekundenschnelle. ChatGPT generiert mittels maschineller Lerntechnologie weitgehend natürlich klingende Texte. Für manche klingt das (noch) nach Hexenwerk, für andere ist es die Sensation schlechthin. Fakt ist: die KI wird früher oder später maßgeblich in den beruflichen und privaten Alltag einziehen und in vielen, wenn nicht nahezu allen Bereichen menschlichen Lebens Dienste leisten – ob wir wollen oder nicht. Sie wird die Welt stärker verändern, als es eine so große Innovation wie das Smartphone getan hat, meint Achim Berg, Präsident von Bitkom, dem Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche: „Viele Aufgaben werden sich mit KI-Unterstützung einfacher, schneller und besser erledigen lassen.“ Und viel öfter, als wir denken, werden wir jetzt schon von KI unterstützt. Sei es etwa in Form von Assistentin Alexa oder dem Navigationssystem im Auto.
Maklersoftware-Anbieter Justimmo hat die Chancen von ChatGPT früh erkannt und bietet seit Jahresanfang seinen Kunden im Rahmen seines Basispakets kostenlos die Möglichkeit an, Texte von der KI erstellen zu lassen. Geschäftsführer Stefan Kalt: „Wir haben gleich nach der Einführung begonnen, damit zu spielen und waren überrascht über die guten Ergebnisse.“ Um einen Text für ein Exposé generieren zu lassen, muss der Makler lediglich die Eckdaten zur Immobilie im System eingeben. Diese werden um von Justimmo ermittelte Points of Interessent, die sich auf die Entfernung zur umliegenden Infrastruktur beziehen, ergänzt und per Schnittstelle an ChatGPT geschickt. Der daraufhin erzeugte Textvorschlag kann als Grundstruktur für eine weitere Bearbeitung genutzt oder – wenn passend - 1:1 verwendet werden. „Die Textqualität variiert und gewisse Formulierungen wiederholen sich oft. Je konkreter und genauer die an ChatGPT übermittelten Informationen und Einstellungen, desto passender und individueller ist das Endergebnis. Dennoch würde ich mich nicht blind darauf verlassen. Eine Kontrolle der Texte ist unbedingt notwendig, denn der Algorithmus will schöne Texte schreiben und übernimmt dafür manchmal Inhalte, die nicht zum Objekt passen beziehungsweise nicht der Wahrheit entsprechen. Bei sehr spezifischen Themen trifft ChatGPT mitunter auch falsche Annahmen“, erklärt Kalt. In den meisten Fällen müsse man Umformulierungen und Anpassungen vornehmen.
Kein Verständnis von der Welt
Warum das so ist, erklärt Ross King, Head of Competence Unit Data Science & Artificial Intelligence am AIT Austrian Institute of Technology: „Künstliche Intelligenz hat kein Verständnis von Fakten. Es hat kein Verständnis von der Welt. Es weiß nur auf der Basis von Milliarden von Beispielen, wie Sätze aufgebaut sind, und versucht dieses Verhalten nachzubauen.“ Kalt zufolge überwiegen im Falle von Justimmo die positiven Erfahrungen. Die Qualität der Texte sei generell sehr gut und die Software eine hilfreiche Unterstützung für all jene, die sich beim Formulieren von Texten schwerer tun. Die über Justimmo mittels KI generierten Texte beziffert er auf mittlerweile einige tausend pro Monat.
Bereits seit ein paar Jahren sind textbasierte Dialogsysteme, auch Chatbots genannt, vermehrt auf Firmen-Websites anzutreffen, wo sie vollautomatisiert 24/7 Kundenanfragen bearbeiten. Ein Beispiel dafür: BotTina von Wien Energie. Die digitale Mitarbeiterin führt seit 2017 täglich hunderte Gespräche zu Themen wie Umzug, E-Rechnung, Anmeldung sowie Strom- und Gastarifen. Interessante Anwendungen von sprachbasierten Dialogsystemen gebe es beispielsweise im Assisted Living, wo KI nach dem Prinzip von Alexa kostengünstig angewendet werden könne, sagt Alexander Redlein, Professor für Immobilien und Facility Management an der TU Wien: „Früher waren Notrufeinrichtungen mit hohem technischem Aufwand verbunden. Die KI bringt hier deutliche Einsparungen.“
Die Möglichkeiten der KI scheinen schier unbegrenzt und bereits am Markt bestehende Tools zeigen, wohin die Reise geht; auch in der Bewertung von Immobilien. Das Schweizer PropTech Unternehmen PriceHubble hat ein Automated Valuation Model (AVM) entwickelt, das mit Hilfe von KI, Machine Learning und Big Data Analytics in der Lage ist, komplexe Zusammenhänge und Muster zu erkennen, die in der bisherigen Wertermittlung noch nicht berücksichtigt wurden. Durch den Einsatz von Prognosealgorithmen und KI können weit mehr preisbeeinflussende Faktoren für die Wertermittlung herangezogen werden als in der Vergangenheit, wo lediglich traditionelle Faktoren wie die Größe oder Ausstattung eines Objekts zählten, so das Unternehmen. Selbst der Einfluss der Lärmbelastung, Sonneneinstrahlung oder des Energielabels könne mit Hilfe des AVMs betrachtet werden. „Den Wert einer Immobilie zu bestimmen, war bisher aufwendig und nicht präzise genug - sprich einfach nicht mehr zeitgemäß. Das liegt vor allem daran, dass der Immobilienmarkt im Allgemeinen intransparent und oftmals nicht nachvollziehbar ist. Daher ist es unser Ziel, möglichst viele immobilienrelevante Daten zu sammeln, strukturieren und mit Hilfe neuester Technologien auszuwerten, um daraus Lösungen für die Immobilienwirtschaft zu kreieren", erklärt Christian Steinke, Regional Manager DACH & CEE von Price Hubble.
Bezug zu Fachkräftemangel
Andere Einsatzmöglichkeiten tun sich im Bereich der Erhaltung und Verwaltung von Gebäuden auf. Ein Beispiel dafür liefert ein aktuelles Projekt aus Redleins Fachbereich. Eine Forschungsgruppe der TU Wien untersuchte in Kooperation mit 6B47, Immofinanz und Simacek im Bereich „ESG in practice“, wie man KI in der Energiemessung einsetzen kann. Im Rahmen einer Studie wurde OCR-Texterkennung genutzt, um Stromzähler mittels Kamera abzulesen. „Das hat sehr gut funktioniert und uns bestätigt, dass KI für viele einfache Anwendung wie beispielsweise zum Ablesen und Auswerten von Daten sehr sinnvoll einsetzbar ist,“ sagt Redlein. Um allerdings ein ganzes Gebäude zu regeln, müsste man viel Zeit investieren, um die KI mit all den wichtigen Parametern vorzutrainieren, sodass sie schließlich die mittels Algorithmen festgelegten Aufgaben erfüllen kann, meint der TU-Professor: „Grundsätzlich ist das aber möglich und mittelfristig wird es auch aufgrund des Fachkräftemangels an Bedeutung gewinnen. Die KI wird sehr viel Routinetätigkeiten und Knochenarbeit, für die es immer weniger Mitarbeiter geben wird, übernehmen können.“
Schon heute unterschützt die KI in der Gebäudeautomation auf vielfältige Weise, die Energie- und Prozesseffizienz erheblich zu steigern und den Komfort für die Nutzer deutlich zu erhöhen. Indem angefallene Daten nicht bloß gesammelt und ausgewertet, sondern auch in zeitliche Zusammenhänge gesetzt werden, lassen sich ebenso Voraussagen treffen. So kann intelligente Software bei der Erstellung von Prognosen hinsichtlich Wartungsintervalle oder Erhaltungsmaßnahmen unterstützen – Stichwort Predictive Maintenance, sprich vorausschauende Wartung. Als Beispiel nennt Redlein Kone mit seinem 24/7 Connected Services, das prädiktive Analysen ermöglicht. Die KI liefert mittels einer Vielzahl von Sensoren und der Abfrage von zig Parametern kontinuierlich Informationen über anstehende Wartungsanforderungen und identifiziert potenzielle Probleme, bevor sie Störungen verursachen. Möglich ist das durch die Vernetzung von Aufzügen, Rolltreppen und automatischen Gebäudetüren mit dem Cloud-basierten Kone-Service. Das Unternehmen ist überzeugt: Die KI-basierte vorausschauende Wartung erhöht nicht nur den Wert des Gebäudes, sondern verlängert auch die Lebensdauer der Anlagen.
Da Immobilien über eine größere Anzahl von Schnittpunkten zu künstlicher Intelligenz verfügen, gibt es auch relativ viele Anwendungsgebiete der KI in der Immobilienbranche, erklärt Christian Schitton, in der S Immo AG für Portfoliotransaktionen verantwortlich, und nennt als Beispiel PropTech-, InsurTech- oder RiskTech-Anwendungen: „Ich denke, dass technische Zwillinge, die Gebäude mit ihren komplexen Prozessen digitalisiert abbilden können, stark im Kommen sind. Das liegt auch daran, dass die Modelle, die dafür notwendig sind, immer besser werden. Ebenso sind Risiko-Zwillinge auf dem Vormarsch, die sämtliche Risiko-Aspekte eines Immobilienportfolios oder eines Unternehmens digitalisiert miteinander verbinden können, eine aggregierte Risikodarstellung schaffen und gleichzeitig auch prognosebasierte Modelle zur Früherkennung von Risikoentwicklungen ermöglichen.“
Schnellere Prozesse
KI wird mittlerweile aber auch dazu genutzt, die Verwaltung von Baueinreichungen und Baugenehmigungen effizienter zu gestalten. Prominentes Beispiel dafür das Projekt BRISE (Building Regulations Information for Submission Envolvement) der Stadt Wien. BRISE verbindet die High-Tech-Methoden Building Information Modeling (BIM), KI und Augmented Reality (AR) zu einem umfassenden, durchgängig digitalen und automatisierten Genehmigungsverfahren. KI kommt als Kombination von maschinellem Lernen und intelligenter semantischer Suche zum Einsatz. So können Rechtsquellen schneller als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Textliche Bestimmungen des Wiener Flächenwidmungs- und Bebauungsplans werden automatisch klassifiziert, Einreichungsdokumente automatisch kategorisiert sowie Unterschriften oder deren Fehlen automatisch anzeigt.
Wenn der Einsatz der KI bei Bauverfahren zum Assistenten der Behörden wird, bedeutet das freilich auch eine Zeitersparnis. „Für den Bauwerber ist es natürlich ein gewaltiger Vorteil, wenn das Verfahren so um Monate verkürzt werden kann“, sagt Christian Schranz vom Zentrum Digitaler Bauprozess der TU Wien, die an der Entwicklung von BRISE beteiligt war. Dennoch haben sich im Entwicklungsprozess auch die Herausforderungen im Einsatz der KI gezeigt. Die baubehördlichen Vorschriften sind über Jahrzehnte gewachsen und nicht alle sind so formuliert, dass sie in eine computertaugliche Formel gepackt werden können. Daher musste künstliche Intelligenz angelernt und eingesetzt werden, die diese Vorschriften erfasst und in überprüfbare Daten übersetzt. „Vielleicht wurde beispielsweise irgendwann festgelegt, dass das Dach an einer bestimmten Stelle hofseitig nur ein Gefälle von maximal dreißig Prozent haben darf. Die künstliche Intelligenz muss diese Daten finden und verstehen, dann kann anhand des digitalen Gebäudemodells sofort mittels einer entwickelten Prüfroutine automatisch untersucht werden, ob diese Regel auch tatsächlich eingehalten wurde“, erklärt Schranz.
Auch Schranz TU-Kollege Harald Urban erwähnt Tücken im Umgang mit der KI: „Wenn etwa vorgeschrieben ist, dass in ausreichender Anzahl Feuerlöscher vorhanden sein müssen, dann kann der Computer natürlich nicht alleine beurteilen, was das bedeuten soll. Entweder man findet eine präzise Definition dafür, oder man lässt das wie bisher von Menschen einschätzen. Allerdings kann ein Softwaretool auf Knopfdruck die Standorte von Feuerlöschern anzeigen und somit die Entscheidung deutlich beschleunigen.“
Mix mit menschlicher Expertise entscheidend
Auch wenn die Integration von KI in der Immobilienbranche langfristig enormes Potenzial für Wachstum und Innovation bietet, so werde es PriceHubble zufolge letztlich entscheidend sein, den optimalen Mix aus KI-Technologien und menschlicher Expertise zu finden, um die Immobilienbranche nachhaltig und erfolgreich in die Zukunft zu führen. „Die KI nur der KI willen einzusetzen, davon halte ich nichts. Es geht darum zu überlegen, wo ich KI effizient, sinnvoll und nutzerzentriert anwenden kann“, sagt Redlein, der in der KI große Chance ebenso wie Gefahrenpotential sieht: „Der Mensch hat nicht die Kontrolle, wohin sie sich entwickelt.“ Alles hängt schließlich von den Daten ab, aus denen die KI ihre „Intelligenz“ bezieht und auf Basis derer sie ihre Schlussfolgerungen trifft. Bei Excel weiß man, welche Formel im Hintergrund wirkt, bei der KI nicht. Aus diesem Grund werde es Redlein zufolge wichtig sein, „dass es Menschen gibt, die kontrollieren, in welche Richtung die KI lernt, ansonsten hat sie Auswirkungen, die wir nicht gutheißen werden. Ich betrachte die ethische Komponente daher als einen sehr wichtigen Aspekt im Umgang mit der KI.“