„Kein Vorbild für andere Städte Österreichs“

Wiener Bauordnung
07.09.2023

Von: Redaktion OIZ
Aktualisiert am 12.09.2023
Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Wiener Immobilien- und Vermögenstreuhänder, und Hans Jörg Ulreich, Berufsgruppensprecher der österreichischen Bauträger, hinterfragen die seit Anfang August vorliegende Wiener Bauordnungsnovelle (BO).

Mann im Anzug
Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Wiener Immobilien- und Vermögenstreuhänder: „Der bürokratische Aufwand steigt weiter.“

OIZ: Welche Relevanz hat die BO für den Immobilienmarkt Wiens?

MICHAEL PISECKY: Die Wiener Bauordnung regelt für alle Menschen, die in Wien leben, maßgebliche Bereiche – was den meisten gar nicht bewusst ist. So schafft sie die Rahmenbedingungen für die Vorsorge für erforderlichen und zeitgemäßen Wohnraum unter Beachtung der Bevölkerungsentwicklung sowie für Arbeits-/Produktionsstätten. Sie bildet das Fundament für die Transformation der Stadt in einen nachhaltigen, geschützten Lebensraum für zukünftig über zwei Millionen Menschen. Sie hat also beachtliche Relevanz.

HANS JÖRG ULREICH: So gesehen ist sie in der breiten Wahrnehmung fast schon unterschätzt. In Wahrheit liegt in der BO ein Hebel, um endlich zukunftssichere Entwicklungen am Immobilienmarkt einzuläuten. Es wäre also viel mehr möglich, um Wien als lebenswerteste Stadt auch in Zukunft zu gestalten.

OIZ: Inwiefern trägt der geänderte Gesetzestext dazu bei, dass Wien die Green-Deal-Ziele der EU bis 2050 erreicht?

PISECKY: Es ist leider so, dass wir regelmäßige Novellierungen der BO erleben, aber Verbesserungen immer nur im Marginalbereich stattfinden. Natürlich sind die enthaltenen Schlagworte immer plakativ und grün, aber die Schritte sind zu klein, um nach(haltig) zu wirken.

ULREICH: Aus Bauträgersicht bewegt sich in den wesentlichen Punkten zu wenig. Es fehlt eine nachverdichtende Flächenwidmung in der Stadt. Die BO könnte Aufstockungen und Dachausbauten anregen und damit gleichzeitig eine große Sanierungswelle in Gang setzen. Gebäude zu Tode zu erhalten, ist angesichts der Klimakrise weder für die Bewohner noch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll.
Wenn wir heute mehr als 25 Prozent des Hauses umbauen, ist es notwendig, alle Zugänge barrierefrei zu machen, statisch und energetisch dramatisch aufzurüsten und – Achtung neu! – künftig auch alle Höfe zu entsiegeln und das ganze Haus auf hocheffiziente alternative Systeme umzustellen. Das klingt auf den ersten Blick alles nachhaltig. Ist es aber nicht, denn es ist derzeit einfach wirtschaftlich unmöglich, es umzusetzen. Die Leidtragenden sind vor allem die Bewohner der Altbauten, die in zu kalten oder zu heißen Wohnungen leben müssen, und in ihren Energiekosten untergehen.

PISECKY: Nachverdichtung und Entsiegelung dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern müssen Hand in Hand gehen. Wir brauchen auch in Zukunft Wohnungen in jeder Preisklasse und können nicht das Wiener Stadtgebiet unter einen Glassturz stellen und jede versiegelte Fläche noch schnell begrünen. Hier muss beides stattfinden: ein Plus an Wohnbau und Sanierung und ein Plus an Begrünung. Derzeit wird vor allem am Stadtrand großflächig und gemeinnützig gebaut und die Bewohner in der Stadt bleiben auf der Strecke.

ULREICH: Auch der mit Abstand größte Baukostentreiber – nämlich die Stellplatzpflicht – wird nur sehr zögerlich angegangen. Während Hamburg, Berlin und Basel sie komplett abgeschafften, orientiert sich Wien eher am Zürcher Zonen-Modell. Je näher am Zentrum, desto niedriger ist die Stellplatzpflicht.

PISECKY: Während man in Zürich aber auf bis zu 10 Prozent reduzieren kann, ist es in Wien nur eine Reduktion auf 70 Prozent. Mit zusätzlichen E-Ladepunkten und Car-Sharing-Angeboten ist eine weitere Reduktion möglich, aber nur um maximal 10 Prozent und somit auf 63 Prozent.

Lachender Mann mit Brille
Hans Jörg Ulreich, Berufsgruppensprecher der österreichischen Bauträger: „Aus Bauträgersicht bewegt sich in den wesentlichen Punkten zu wenig.“

OIZ: Wurde der §69 BO wie erhofft dahingehend adaptiert, dass die Nachverdichtung forciert werden kann?

PISECKY: Leider wurde der Anwendungsspielraum weiter eingeschränkt, da dem „Stadtbild“ in der neuen BO erhebliches Gewicht beigemessen wird. Dieser Begriff ist leider sehr breit definierbar.

ULREICH: Der breite Spielraum dieser sehr offenen Definition kann dazu führen, dass damit Aufstockungen, Gaupen oder Balkone mit der Begründung einer Störung des „Stadtbildes“ nicht genehmigt werden.

OIZ: Werden die Bewilligungsverfahren verkürzt und, falls ja, wie?

PISECKY: Der bürokratische Aufwand steigt weiter. Einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursacht zum Beispiel das Bauwerksbuch für schon bestehende Gebäude, welches als „Pickerl fürs Haus“ angekündigt wurde. Bis 2027 (Gebäude vor 1919) bzw. 2030 (Gebäude zwischen 1919 und 1945) muss man Unmengen an Daten ausheben, erstellen lassen, dokumentieren und in eine Datenbank einmelden. Hier kommt ein großer Aufwand auf die Verwaltungen zu und vor allem entsteht die Frage, wer die Kosten dafür zu tragen hat respektive wie diese verteilt werden.

ULREICH: Das Verfahren zur wirtschaftlichen Abbruchreife wurde maximal verschärft. Man muss sich jetzt auch frühere „schuldhafte Vernachlässigungen der Instandhaltungspflichten“ durch Vorbesitzer und sogar öffentliche Förderungen und wirtschaftliche Ertragsoptimierungen anrechnen lassen. Dies führt zu einem Einfrieren der derzeitigen Gebäude im Bestand, da jedes alte Haus damit de facto als Denkmal zu behandeln ist. Hier wird die Chance verwirkt, mit den weltweit anerkannten österreichischen Architekten durch Projektentwicklungen die Stadt zu verschönern und für die Zukunft etwas Neues zu designen.

OIZ: Lassen sich künftig Brandschutz- und Klimaschutzmaßnahmen besser unter einen Hut bringen?

ULREICH: Auch hier wurden unsere Vorschläge nicht ausreichend berücksichtigt. Es wäre mehr möglich gewesen.

OIZ: Was bedeutet die BO für die Bauordnungen der Bundesländer?

ULREICH: Die fehlende Möglichkeit, in der bebauten Stadt zu entwickeln und nachzuverdichten, sollte nicht als Vorbild für die anderen Städte in Österreich dienen.

OIZ: Wie geht es mit der BO weiter?

ULREICH: Die Fachgruppe der WKW brachte jedenfalls mit externen Experten im Rahmen des Begutachtungsverfahrens alle Änderungsvorschläge auf rund 30 Seiten in Form einer Stellungnahme ein. Was davon bleibt bzw. welchen Niederschlag das im endgültigen Text findet, ist hoffnungsfroh abzuwarten.

PISECKY: Das Begutachtungsverfahren ist abgeschlossen. Ich bedanke mit bei allen, die an der Erarbeitung mitgewirkt haben; noch dazu wo dies im Juli zu erfolgen hatte. Unsere Forderungen wurden innerhalb der WKW abgestimmt und eine Stellungnahme seitens der WKW wurde zeitgerecht an die Stadt Wien übermittelt. Nun werden wir mit den zuständigen Stellen in Kontakt treten und unsere Vorschläge zu diskutieren. In Kraft treten soll die BO mit 1. Jänner 2024.

drei Häuser nebeneinander
Linzerstraße 2

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Ein Eckhaus wie die Linzerstraße 2 (rechts im Bild) ist stadtbildprägend und erhaltenswert. Das baufällige kleine Haus daneben (in der Mitte) wurde noch vor einigen Jahren als städtebaulicher Missstand eingestuft und sein Abbruch sogar gefördert. Es darf schon derzeit nicht abgerissen, aber zumindest noch innerhalb der Widmung um mehrere Geschoße – wenn auch ohne Balkone, Erker sowie Dachaufbauten – aufgestockt werden. Nächstes Jahr ist bei vergleichbaren Häusern vielleicht nur mehr ein eingeschoßiger Dachausbau ohne Aufstockung möglich.