„Die Umbaukultur wird gefördert“

Bauordnung
15.10.2024

 
Laut Tatjana Sabljo setzt die novellierte niedersächsische Bauordnung einen hohen Anreiz, anstelle von Abriss und Neubau in den Bestand zu investieren. Ergo können die neuen Regelungen die CO2-Emissionen im Baubereich senken.

OIZ: Am 1. Juli 2024 trat die Bauordnungsnovelle in Niedersachsen in Kraft. Inwiefern wirkt sie sich bereits auf Ihr Tagesgeschäft aus?
TATJANA SABLJO: Das Tagesgeschäft unseres Büros wird im Wesentlichen durch „Bauen im Bestand“ bestimmt. Ein großer Teil unserer Projekte ist die Transformation, die Umnutzung, der Umbau von bestehender, oft auch obsoleter Architektur. Insofern hat die neue Niedersächsische Bauordnung (NBauO) tatsächlich bereits Einfluss auf unsere Arbeit. Aktuell planen wir gemeinsam mit einem regionalen Wohnungsunternehmen den Umbau eines ehemaligen Verwaltungsgebäudes zu einem Mehrfamilienhaus. Es entstehen circa achtzig neue Wohneinheiten in zentraler Lage. Gemeinsam mit unseren Fachplanern prüfen wir zurzeit, welche Auswirkungen sie auf unser Projekt hat.

Tatjana Sabljo
Tatjana Sabljo ist Geschäftsführerin und Inhaberin des Architekturbüros Sabljo Architekten BDA in Hannover sowie Professorin an der Hochschule Hannover mit Schwerpunkt Bauen im Bestand: „Bisher mussten Bestandsgebäude die gleichen Anforderungen wie ein Neubau erfüllen. Das war in der Praxis nur schwierig, oftmals auch unmöglich, umzusetzen.“

OIZ: Sie waren in den Novellierungsprozess integriert. Wie lief dieser ab? Welche „Weltanschauungen“ trafen aufeinander?

SABLJO: An dem Prozess der Novellierung wurden wir „Praktiker“ beteiligt: Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA), Bund Deutscher Baumeister, Architektenkammer Niedersachsen, ein Wohnungsunternehmen, ein beratender Ingenieur für Brandschutz sowie die Bauordnung der Landeshauptstadt Hannover. Von Seiten des BDA waren unsere Landesvorsitzende Dilek Ruf und ich als Bezirksvorsitzende an Bord.
Bereits im Vorfeld gab es verschiedene Gespräche und Termine, in denen wir Architektinnen und Architekten darlegten, dass die bisherige Bauordnung von Bestandsgebäuden zu viel abfordert. Denn die Bestandsgebäude mussten bisher die gleichen Anforderungen wie ein Neubau erfüllen. Das war in der Praxis nur schwierig, oftmals auch unmöglich, umzusetzen. Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung lud daraufhin zu gemeinsamen Workshops ein. Hier zeigten wir die Schwierigkeiten an konkreten Beispielen aus der Praxis auf. Es war definitiv ein Erkenntnisgewinn für beide Seiten.
Doch wie wird aus der Erkenntnis über die Probleme ein neues Gesetz? Hier stellte Stefanie Nöthel, die Leiterin der Abteilung Städtebau und Wohnen des Ministeriums, im Workshop die grundlegende These in den Raum, ob die Gebäude nach dem Umbau nicht mehr können müssen als vorher. Die Pros und Contras dieser These wurden diskutiert. Im Prozess entstanden dann verschiedene Vorschläge, die immer wieder verändert wurden. Der Prozess war sehr konstruktiv, getragen vom Willen, das (Um-)Bauen zu erleichtern.

OIZ: Was ist Ihrer Ansicht nach die wesentlichste Verbesserung, die punkto Normenabbau beschlossen wurde?
SABLJO:
Das Bauen unterliegt in Deutschland einer Vielzahl von Regularien, die sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene geregelt werden, unter anderem das Baugesetzbuch, die Baunutzungsverordnung, die Landesbauordnungen, die DIN-Normen sowie technische Regelwerke. Es gibt noch viel zu tun. Die Novellierung der Landesbauordnung ist ein erster Schritt – vor allem auch hin zu einer Umbauordnung.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Stellplatzpflicht. Zum Teil stecken fünfzig Prozent der Rohbaukosten in der notwendigen Tiefgarage. Hier können die Baukosten, aber auch das CO2, spürbar gesenkt werden.
Mit dem Herabsetzen der Grenzabstände und der Erhöhung der Personenzahl pro Nutzungseinheit passt sich Niedersachsen den anderen Landesbauordnungen an. Diese Veränderungen sind weniger spektakulär, werden in der Praxis aber eine große Wirkung haben.

OIZ: Welchen Stellenwert nehmen Klimaschutzmaßnahmen im Gesetzestext ein?
SABLJO:
Die in der NBauO integrierten Regelungen zur Erleichterung des Umbaus reduzieren zum einen die Kosten und geben daher den Bauherrinnen und Bauherren einen hohen Anreiz, anstelle eines Abrisses und Neubaus im Bestand zu investieren. Die Regelungen haben damit einen erheblichen Effekt für den Klimaschutz und können die CO2-Emissionen im Baubereich senken. Die Umbaukultur wird hiermit gefördert.

OIZ: Macht die NBauO die Errichtung beziehungsweise den Umbau von Wohnraum in Niedersachen günstiger?
SABLJO:
Ziel dieser Novellierung ist es, einfacher, schneller und günstiger Wohnraum zu schaffen. Für Umbauten, Umnutzungen, Aufstockungen ist künftig kein Genehmigungsverfahren mehr notwendig; nur noch ein Mitteilungsverfahren. Das Umbauen wird mit der Novelle leichter und ressourcenschonender.
Zudem öffnet die neue Bauordnung uns Architektinnen und Architekten ein wunderbares Fenster, quasi eine Experimentierklausel: „Unter den Voraussetzungen (…) sind Abweichungen zuzulassen (…) bei Baumaßnahmen zur Erprobung neuer Bau- und Wohnformen.“ Hier wird im rechtlichen Rahmen Freiraum für Innovationen geschaffen und der Ball an uns Architektinnen und Architekten zurückgespielt: wie können wir zeitgemäß und dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet, Neues in die Welt bringen?