Brennpunkt Wien
Während die Bundeshauptstadt wächst, stagniert das Angebot an bedarfsgerechten Wohnungen. Es gilt an etlichen Schrauben zu drehen, damit sich der Investitionsstau auflöst.

In Wien ist die Lebensqualität weltweit am höchsten. Das bescheinigte die allseits anerkannte Mercer-Studie der österreichischen Bundeshauptstadt Ende Februar erneut. Auf Platz zwei folgt Zürich, Bronze geht an Auckland, das Schlusslicht bildet Bagdad. Zur Beurteilung wurden 39 breit gefächerte Kriterien analysiert. Die Medienorgel des Wiener Rathauses frohlockte entsprechend euphorisch.
Somit alles eitel Wonne in der Donaumetropole? Mitnichten. Denn das Bevölkerungswachstum nimmt dramatische Ausmaße an – Stichwort Zuwanderung. Zählt die Bundeshauptstadt derzeit 1,84 Millionen Einwohner, so dürfte in einer Dekade die Zwei-Millionen-Marke (erneut) fallen. Laut einer Studie von UN-Habitat könnte Wien mit einem Bevölkerungsplus von 4,65 Prozent zwischen 2010 und 2025 sogar die am schnellsten wachsende Stadtregion Europas werden. Während Österreich konjunkturell abrutscht, benötigen ergo immer mehr Menschen günstigen Wohnraum. Als Zuzügler, oder weil sie sich aufgrund eines Jobverlusts ihre vier Wände nicht mehr finanzieren können. Eine Wohnungskatastrophe droht.
Auf den Schultern der privaten Immobilienwirtschaft
Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Vermögens- und Immobilientreuhänder in Wien, kritisiert: „Den Hauptteil dieses Problems muss die private Immobilienwirtschaft übernehmen, da Zuwanderer in der Regel keine Anzahlung für Genossenschaftswohnungen leisten können und von Gemeindewohnungen ausgeschlossen sind. Wien braucht daher ein Gesamtpaket, durch das sich Investitionen wieder lohnen. Dadurch sollen mehr und bedarfsgerechte Wohnungen entstehen.“
Während der vergangenen Jahre spitzte sich die Verknappung aufgrund zu weniger Neubauten zu. Die Wiener Stadtplanung erkannte laut Pisecky noch nicht in vollem Umfang, wie rasant die Metropole wächst. Und es mangelt vor allem an den richtigen Wohnungen. „Der einzige Weg ist, alle bestehenden Knüppel aus dem Weg zu schaffen, die einen Wohnungsneu- und -umbau beziehungsweise Sanierungen behindern“, so der Fachgruppenobmann.
Gemeinnützige und Private ziehen an einem Strang
Vor diesem Hintergrund gründeten Ende November letzten Jahres der Österreichische Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) und PRO Bauen die „Plattform Wohnungsbau“. Bei PRO Bauen handelt es sich um eine Initiative der Fachgruppe Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, des Forschungsverbandes der österreichischen Baustoffindustrie sowie des Verbandes der Baustoffhändler Österreichs. Die „Plattform Wohnungsbau“ listet die Kostentreiber im Neubau auf und nennt konkrete Vorschläge, wie diese eingedämmt werden können. Nur so kann sich der Investitionsstau auflösen und die Wohnungskatastrophe abgewendet werden.
Mit diesem Ziel vor Augen ziehen gemeinnützige und private Bauträger in der neuen Plattform an einem Strang. So betont GBV-Obmann Karl Wurm: „Kostentreibende bautechnische Anforderungen, Normen und Auflagen energieeffizienten Bauens haben leistbares Wohnen in den letzten Jahren immer stärker unter Druck geraten lassen. Für die dringend notwendige Forcierung des Wohnungsneubaus sind baukostensenkende Maßnahmen ein Gebot der Stunde.“ Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der Fachgruppe Wien der Immobilien- und Vermögenstreuhänder warnt gar vor einer Ghettobildung in Wien: „Ohne zusätzlichen Wohnraum explodieren die Preise und wir verlieren unsere soziale Stabilität.“
Als wesentlichen Ansatzpunkt betrachtet die Plattform Wohnungsbau die Reduktion des zuletzt üppig wuchernden Normendickichts. Hier sollte künftig vor jeder neuen Norm die Frage aufgeworfen werden, was sie kostet und was sie bringt. Zentrales Ziel sei dabei, das Kostenbewusstsein und die Praxisnähe für die Normanwender in den Fokus zu rücken. Ein breites Feld für maßvolle Vereinfachungen tut sich darüber hinaus bei der Barrierefreiheit sowie beim Brand- und Schallschutz auf.
Plädoyer für eine Sanierungsoffensive
An welchen Schrauben muss man weiters drehen, damit die Investitionen in Wohnbaumaßnahmen fließen und Wien lebenswert bleibt? Dass das am 24. Februar vom Nationalrat beschlossene „Mietrechtliche Inflationslinderungsgesetz MILG“ ein Signal in die exakt falsche Richtung sendet, sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Ebenso, dass die Steuerreform 2015/2016 die private Immobilienwirtschaft hart trifft.
Um die Wohnungskatastrophe abzuwenden, plädiert Ulreich für eine Sanierungsoffensive: „Durch eine derartige Offensive soll es etwa möglich sein, bei Neubezug einer thermisch sanierten Wohnung – zum Beispiel Niedrigenergiestandard – eine entsprechend höhere Miete zu erzielen. Damit könnte die Baubranche einen entscheidenden Impuls erfahren und viele Jobs geschaffen werden, die keine lange Einschulung benötigen. Auf diese Wiese könnten tausende ungelernte Arbeitslose rasch in einen neuen Beruf einsteigen.“
Mit dem Vorschlag einer Mietanpassung für nicht genutzte Privilegierten-Wohnungen greift Pisecky derweil ein heißes Eisen an. Schließlich stehen in Wien tausende Wohnungen leer, obwohl sie vermietet sind. Da diese Altmieten extrem niedrig sind und zusätzlich ein Eintrittsrecht besteht, werden besagte Wohnungen nicht zurückgegeben, sondern nur zeitweise genutzt oder für Verwandte aufgehoben. „Diese Wohnungen fehlen in Wien. Mit der sukzessiven Erhöhung dieser Mieten kann ein großer Teil davon wieder auf den Immobilienmarkt gebracht werden. Diese Regelung soll alle Wohnungen betreffen, in denen niemand hauptgemeldet ist, also auch Gemeindewohnungen“, fordert der Fachgruppenobmann.
Veralteter Flächenwidmungsplan
Ein weiterer Aspekt: Das MRG beinhaltet Investitionsanreize für das Schaffen großer Luxusdomizile. Deren Bedarf schrumpft allerdings. Schließlich sind heutzutage Kleinwohnungen gefragter denn je. Während über 130 Quadratmeter große Bleiben angemessen vermietet werden dürfen, unterliegen durch Wohnungsteilung neu geschaffene Klein-Apartments dem Richtwert. Auf maßgebliche Investitionen folgt also ein Verlust. Ebenso ist es bei der Errichtung von Wohnungen unter 30 Quadratmetern, die der niedrigen Kategorie-Miete unterliegen. Hier braucht es eine Anpassung auf eine angemessene Vermietung, um die Schaffung kleinerer Wohnungen loszutreten.
Darüber hinaus gesellt sich erschwerend hinzu, dass ein veralteter Flächenwidmungsplan bremst. Ulreich blickt hinter die Kulissen: „Die Stadt ist der größte Grundstückseigentümer in Wien. Sie verfügt über ausreichende Flächen für die nächsten fünfzig Jahre. Leider werden sie nicht für den Wohnbau gewidmet. Dadurch können aktuell keine Wohnungen errichtet werden und zusätzlich werden Grundstücke – da Mangelware – immer teurer. Eine fertige Lösung zum Baurecht liegt bereits in den Schubladen der Wiener Stadtregierung. Sie muss lediglich verabschiedet werden.“