100 Jahre Denkmalschutzgesetz

Denkmalschutz
07.09.2023

Von: Redaktion OIZ
Aktualisiert am 12.09.2023
Zahlreiche Immobilien wurde entsprechend der Vorgaben renoviert – unter Anstrengung einzelner, ambitionierter Entwickler, jedoch zur Freude vieler Nutzer.

renoviertes Hotel in Wien
Im The Leo Grand in Wien wurde der barocke Dachstuhl in das Hotelerlebnis eingebunden.

Geht es um historische Immobilien, dann ist es ein hehres Ziel, geschichtsträchtige Substanz zu bewahren, wenngleich das für kommerzielle Projekte manchmal eine Herkulesaufgabe darstellen kann. Denkmalschutz bedeutet sorgfältiges Vorgehen und dieses mit einem Zeit- und Kostenrahmen in Einklang zu bringen, stellt oft die größte Herausforderung dar, weiß Architekt Erich Bernard, Geschäftsführer BWM Designers & Architects, auf dessen Konto zahlreiche Restaurierungen und Adaptierungen historischer Architekturjuwele wie das Caffè Sacher Trieste oder das Geschäftslokal von A.E. Köchert Juwelier gehen: „Die Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse sind komplex und oft recht verschlungen, jedenfalls nicht linear.“ Das in Österreich seit hundert Jahren geltende Denkmalschutzgesetz werde daher in vielen Fällen noch immer als Belastung für ein Bauwerk gesehen und nicht als Aufwertung, durch die seine Besonderheiten erst richtig Anerkennung finden.

Trotzdem nehmen immer wieder Entwickler sich dieser Herausforderung an. „Wir verstehen den Denkmalschutz nicht nur als Verpflichtung, sondern als Selbstverständlichkeit und Ehre, an der Geschichte und Kultur unserer Stadt teilzunehmen und diese der Nachwelt zu erhalten und durch Weiterentwicklung zukünftigen Generationen zugänglich zu machen“, sagt Martin Lenikus, Eigentümer der Unternehmensgruppe Lenikus, der mit seinem jüngsten Hotelprojekt The Leo Grand ein Paradebespiel für gelebten Denkmalschutz lieferte.

Enge Zusammenarbeit

Beim heute als State of the art 5-Sterne Superior Hotel geführten Haus am Bauernmarkt handelt es sich um ein Wiener Zinshaus mit 300-jähriger Geschichte, welches „von Kopf bis Fuß“ unter Denkmalschutz stand. Das in die Jahre gekommene Barockhaus wurde unter größtmöglicher Beibehaltung der gesamten historischen Substanz im Rahmen eines „langen und intensiven Prozesses“ behutsam und akribisch restauriert – wobei jeder einzelne Schritt mit dem Bundesdenkmalamt abzustimmen war, so Lenikus: „Diese enge Zusammenarbeit war stets konstruktiv und im Sinne des gemeinsamen denkmalpflegerischen Ziels.“

Dabei sei es vorrangig gewesen, „so wenig wie möglich und zur Erreichung des Projektzieles gerade so viel wie notwendig zu verändern“. So blieben die historischen, nach außen öffnenden Kastenfenster samt historischer Verglasung und Laibungsverkleidungen sowie historische Türen erhalten. Störende Überformungen und Abänderungen wurden hingegen entfernt und das Gebäude in den Originalzustand versetzt. Dies betraf die Straßenfassaden, die Stiegenhäuser und Pawlatschengänge im Innenhof. Hinzu kamen zwei neue Dachgeschoße und eine vollständige Unterkellerung. Der Abbruch des historischen Dachstuhls, der direkt unter der Dacheindeckung lag, war zwar behördlich genehmigt, doch sein Erhalt dem Bauherrn wichtig. So wurde das neue Dach um den alten Dachstuhl herum im Einklang mit den Bebauungsvorschriften und Anforderungen des Denkmalschutzes gebaut.

Lachender Mann mit Brille
Erich Bernard, Gründer und Geschäftsführer BWM Designers & Architects: „Die Abstimmungs- und Genehmigungsprozesse sind komplex und oft recht verschlungen, jedenfalls nicht linear.“

Bewusstsein für wirtschaftliche Funktionsfähigkeit

Im Vorfeld der Umbau- und Restaurierungsmaßnahmen ließ Lenikus das Gebäude in mehreren Schritten über mehrere Jahre hinweg vom Keller bis zum Dach umfassend bauhistorisch untersuchen. Der Schwerpunkt lag auf der Analyse der schrittweisen Entstehung der heutigen Bausubstanz. Archäologische Grabungen in den nicht unterkellerten Erdgeschoßräumen sowie im Innenhof bis weit über sechs Meter hinab gaben Aufschluss über die Baugeschichte der Parzelle bis in die Römerzeit und legten eine mittelalterliche Brunnen- und Latrinenanlage frei. Außerdem wurde mittels der bis ins frühe Mittelalter reichende Archivalien die Besitzergeschichte rekonstruiert. Alle Untersuchungsergebnisse mündeten in detaillierte Gutachten, die die Grundlage für Restaurierung und Umbau bildeten.

Generell habe man im Laufe der Jahre sehr positive Erfahrungen mit dem Thema Denkmalschutz gemacht, betont Lenikus: „Er hat uns trotz gewisser Restriktionen auch immer die Möglichkeit gelassen, die Einzigartigkeit und den Charakter historischer Bauwerke mit modernem Design und Komfort zu verbinden.“ Dem Bundesdenkmalamt sei Lenikus‘ Erfahrung nach die Notwendigkeit bewusst, „dass auch Denkmäler wirtschaftlich ,funktionieren‘“ müssen, wenn ihre Erhaltung auf Dauer gesichert werden soll: „Im Regelfall lassen sie sich im Zuge der Restaurierung so adaptieren, dass eine dauerhafte wirtschaftlich tragfähige Benutzbarkeit möglich ist. Wenn man aber keine Liebe und kein Verständnis für historisch wertvolle Substanz hat, sollte man besser von unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden die Finger lassen.“

Gelebte Nachhaltigkeit

Das Bundesdenkmalamt habe das Ziel, in Absprache mit Eigentümern tragfähige Lösungen zu finden, die berechtigte Nutzungsanforderungen erfüllen, betont Christoph Bazil, Präsident des Bundesdenkmalamtes: „Die meisten Denkmale haben sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte in unterschiedlichen Funktionen bewährt und ermöglichen vielfältige Verwendungen.“ Das Fortschreiben des Bestehenden, sprich die Denkmalpflege, sei außerdem „gelebte Nachhaltigkeit“.

Geht es um bauliche Maßnahmen, so seinen jene Elemente, die besonders charakteristisch sind und dem Denkmal seine Bedeutung geben mit Sorgfalt zu erhalten. Wenngleich es oft auch Bereiche gebe, in denen mehr Eingriffe, etwa für die Haustechnik, modernen Wohnkomfort oder ähnliches möglich sind, sieht er das Wesentlich darin, „das Denkmal in seiner Gesamtheit zu sehen und die langfristige Perspektive im Auge zu halten“. Derartiges wird aktuell bei der Restaurierung des 1902 erbauten und zuletzt vernachlässigten Villa Mautner Jäger im 3. Wiener Gemeindebezirk angestrebt. Derzeit laufen umfassende Projektvorbereitungen unter fachlicher und wissenschaftlicher Begleitung des Bundesdenkmalamtes, sodass der historische Bestand künftig die Ansprüche eines modernen Familienwohnsitzes unter Bewahrung der geschichtlichen, künstlerischen und kulturellen Bedeutung des Objektes erfüllt.

Mann im Anzug
Christoph Bazil, Präsident des Bundesdenkmalamtes: „Das Denkmalschutzgesetz spricht von der Erhaltung des Bestandes, der überlieferten Erscheinung und der künstlerischen Wirkung. Das ist immer im Einzelfall zu prüfen.“

Auch jüngere Gebäude erhaltenswert

Welche Gebäude erhaltenswert seien, können nicht an einem „Mindestalter“ festgemacht werden, es werden auch neuere Gebäude geprüft, sagt der Bundesdenkmalamt-Präsident: „Voraussetzung für eine Unterschutzstellung ist, dass das Objekt eine derartige geschichtliche, künstlerische oder kulturelle Bedeutung aufweist, die ein öffentliches Interesse an der Erhaltung begründet. Wesentlich ist, dass wir das Gebäude in seinem tatsächlichen, materiellen Zustand beurteilen, der manchmal deshalb bedeutend ist, weil er unverändert erhalten ist, oft aber ist es das Zusammenspiel der Schichten aus verschiedenen Zeiten, Stilen und Nutzungen, das die besondere Bedeutung ausmachen.“

Der Alterswert ist auch für den Denkmalschutz-erfahrenen Bernard nur einer von vielen Aspekt bei der Frage der Erhaltenswürdigkeit. Es gehe auch um Fragen der Originalität, Seltenheitswert, die Entstehungsgeschichte, den Architekten oder einst namhafte Bewohner: „Hundert Jahre sind in diesem Zusammenhang kein Kriterium. Wirklich bedroht sind in Wahrheit Bauten, die jünger sind als fünfzig Jahre. Diese haben noch keine breite Lobby, noch keinen Alterswert und ihr Wert ist in den meisten Fällen von der Öffentlichkeit noch nicht erkannt oder anerkannt. Und doch gibt es auch unter den jüngeren Bauten viel wertvolle und erhaltenswerte Bauten, aus den unterschiedlichsten Aspekten.“ Als Beispiel nennt der BWM-Geschäftsführer das Oeuvre Otto Wagners: „Dessen Wert ist heute unbestritten anerkannt. Das war nicht immer so: In den 1960er Jahren, als viele seiner Bauten gerade einmal fünfzig Jahre alt waren, zögerte man nicht, einige davon abzubrechen.“

Besonderheiten begreifen

Ein Abbruch passiere nur äußerst selten. Um eine weitere Erhaltung auszuschließen, müssten schon sehr gewichtige Argumente vorliegen, betont Bazil: „Wirtschaftliche Gründe sind natürlich bei einer Veränderung zu berücksichtigen, das ergibt sich schon aus dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums. Gerade hier ist es uns ein Anliegen, tragfähige Lösungen zu finden, damit die denkmalgerechte Erhaltung sichergestellt bleibt.“ Tendenziell mache ein Erhalt aus Erfahrung von Architekt Bernard öfter Sinn als ein Nicht-Erhalt: „Wenn ein Bauwerk schon einmal lange Zeit überlebt hat, hat es sich meistens auch qualitativ schon bewährt. Und man muss bedenken, man sucht immer nach Geschichten und Geschichte: Beim bestehenden Bauwerk steckt die Story, die Geschichte schon drinnen. Da braucht es kein Vintage-Design, um die Geschichte zu implementieren.“

Visualisierung einer Villa
Die 1902 erbaute und 1991 unter Denkmalschutz gestellte Villa Mautner-Jäger im 3. Wiener Gemeindebezirk wird gerade restauriert.

Für ihn sei der Denkmalschutz deshalb oft eine große Unterstützung, alle Beteiligten vom Wert eines Bauwerkes zu überzeugen – auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Bernard versteht ihn daher als „eine Art Aufforderung, ein Bauwerk wirklich genau zu analysieren, historisch, technisch und vor allem auch gestalterisch“. Er sei wie eine Auszeichnung für ein Bauwerk, eine Anerkennung seiner historischen oder gestalterischen Qualitäten. An einem denkmalgeschützten Gebäude zu arbeiten, bedeute daher, mit großer Sorgfalt auch in den Details vorzugehen. Aus seiner Sicht der wichtigste Punkt: „Man muss die Besonderheiten begreifen, verstehen, was das Bauwerk von anderen unterscheidet.“ Denn genau diese Besonderheiten und Eigenarten gelte es bei einer Renovierung, einer Restaurierung herauszuarbeiten oder bei einem Umbau zu bewahren: „Im Grunde sind das Aspekte, die man bei Bauen im Bestand immer beachten sollte, egal ob denkmalgeschützt oder nicht.“

Dass bei Vorgaben übers Ziel hinausgeschossen wird, erlebt der BWM-Gründer allerdings selten: „Meistens finden wir in allen Fällen große Dialogbereitschaft.“ Aus seiner Sicht gebe es sogar einige Punkte, bei denen der Denkmalschutz mehr Durchsetzungskraft haben sollte, wie etwa beim Schutz historischer Fenster, die entgegen der landläufigen Meinung meist technisch wesentlich leistungsfähiger seien als neue.